Experte für Krisenkommunikation
Krisenkommunikationsexperte Christian Scherg im Interview mit dem Handelsblatt. Nachdem die ersten Kartellvorwürfe gegenüber VW, Daimler und BMW laut wurden, zeigten die Unternehmen zunächst Einigkeit. Dementi waren das Mittel der Wahl, niemand wollte von nichts gewusst haben. Bis Daimler einen Kronzeugen-Antrag bei der EU-Kommission stellte und die Dynamik sich plötzlich änderte. Im Interview mit dem Handelsblatt erklärt Christian Scherg, welche Folgen das jeweilige Vorgehen der Konzerne auf ihre Reputation hat.
Krisenkommunikationsexperte Christian Scherg – Wie aus Strategie Chaos wurde
Daimlers Selbstanzeige löste in der Automobilindustrie eine regelrechte Lawine aus. BMW vertraut Daimler nicht mehr, geplante Kooperationen wurden auf Eis gelegt. VW zog kurz darauf nach und erstattete ebenfalls Selbstanzeige. Die Aufsichtsräte der drei Unternehmen tagen, die Verantwortlichen beschuldigen sich gegenseitig in der Öffentlichkeit.
Es herrscht Chaos, bei dem jeder der drei Konzerne eine andere Strategie an den Tag legt. Strategien, die seltene Einblicke in die streng geheim gehaltenen Funktionsweisen der Unternehmen ermöglichen.
Krisenkommunikationsexperte Christian Scherg – Verschiedene Strategien, gleicher Schaden?
VW vereint zwölf Marken unter seinem Banner, deren Verantwortliche sich nun gegenseitig beschuldigen. Dieser öffentliche Schlagabtausch ist Ausdruck eines Kontrollverlustes innerhalb des Konzerns, so Christian Scherg, Krisenkommunikationsexperte. „Dass interne Kommunikation nach draußen dringt oder sich Vorstand und Betriebsrat öffentlich angreifen, ist so natürlich in keiner Weise gewünscht.“ Vielmehr müssten alle Beteiligten Geschlossenheit demonstrieren, um den Reputationsschaden nicht noch weiter zu verstärken. Scherg vermutet, dass die Angst vieler Mitarbeiter um ihren Job hinter diesem irrationalen Handeln steckt.
Bei der Krisenkommunikation ist es essenziell, die Deutungshoheit zu wahren, weiß der Experte. Im Krisenfall müssen Unternehmen zeigen, dass sie nicht nur auf öffentlichen Druck reagieren, sondern Transparenz schaffen. Besonders zielgerichtet sieht dies momentan bei Daimler aus, so Scherg. Die Selbstanzeige hat dem Unternehmen einen Vorteil in der Krisenkommunikation verschafft. „Wenn so ein Schritt vorbereitet wird, wird alles generalstabsmäßig am Reißbrett durchexerziert“. Sämtliche öffentliche Reaktionen werden bis ins kleinste Detail simuliert und in einem Krisenhandbuch festgehalten. Nur so ist es mögliche, im Krisenfall auf alles vorbereitet zu sein. So hat man den ersten Aufschlag und kann das Spiel bestimmen.
BMW hat es in der Öffentlichkeit schwerer als Daimler. Es ist gut möglich, dass der Konzern von den Kartellvorwürfen überrascht wurde, vermutet Scherg. Und es gilt: Wer sich in der Öffentlichkeit erklären muss, hat immer schlechtere Karten.
Krisenkommunikationsexperte Christian Scherg – Ein Reputationsschaden unbekannten Ausmaßes
Letztendlich wird die Entscheidung der EU-Wettbewerbsbehörde zeigen, welche Strategie die beste war. Dennoch muss die Automobilindustrie jetzt schon einen immensen Image-Schaden beklagen. Christian Scherg bezeichnet ihn als einen „Erdrutsch für die deutsche Automobilindustrie“, deren herausragende Attribute deutscher Wertarbeit nun in Gefahr sind.
Der Krisenkommunikationsexperte ist sich sicher: „Der Reputationsschaden erstreckt sich auf die gesamte deutsche Wirtschaft und darüber hinaus.“