Medienkrise – gesellschaftlicher Klimawandel
Wer Informationen sucht, konsultiert in der Regel zu allererst das Internet. Die Zeiten, in denen man in eine Bibliothek geht, um etwas nachzuschlagen oder am Straßenrand eine Zeitung kauft, um sich kurzfristig auf den neuesten Stand zu bringen, sind vorbei.
Dank des Internets stehen uns jede Sekunde unendliche Informationen zur Verfügung. Adressen, Rezepte, Nachrichten: Alles ist nur wenige Klicks entfernt. Eine Errungenschaft, die das Leben leichter macht. Manchmal jedoch zu einfach.
Medienkrise – Die digitale Informationsflut
Das Internet ist voll von Informationen, die jeder ständig abrufen kann. Gleichzeitig haben wir immer weniger Zeit sie zu konsumieren, weshalb es zwingend notwendig ist, sie zu reduzieren. Noch weniger Zeit bleibt, um diese Informationen, die von jedem innerhalb kürzester Zeit verbreitet werden können, zu prüfen und uns eine eigene Meinung zu bilden.
Aus diesem Grund überlassen wir es anderen, sie für uns zu reduzieren und zu gewichten. Ihre Meinung übernehmen wir dabei meistens unhinterfragt. Das ist in gleich zwei Hinsichten praktisch für uns: Es spart Zeit und wir bringen uns nicht in die unbequeme Situation, uns gegen die Meinung anderer oder die allgemeine Stimmung positionieren zu müssen.
Die Meinung des eigenen Umfeldes zu erfassen wird uns dabei leicht gemacht. Durch Facebook & Co. wissen wir 24/7 was unsere Freunde interessiert, was und vor allem wie sie denken. Da es normal ist, sich mit Personen zu umgeben, die eine ähnliche Position vertreten und ähnliche Interessen haben wie man selbst, handelt es sich bei den sozialen Plattformen um nichts anderes als Echoräume unserer eigenen Werte und Meinungen.
Dieser Zustand wäre für sich genommen noch kein großes Problem. Jedoch liegt es seit Urzeiten in der Natur des Menschen, dass die meisten von uns sich besonders für Gerüchte, Skandale und schlechte Nachrichten interessieren und diese den höchsten Nachrichtenwert haben. Sie zu als Erster zu kennen und zu verbreiten macht uns wichtig und interessant bei unseren Followern und Freunden.
Auf diese Art und Weise wird bereits ein Großteil der von uns konsumierten Informationen herausgefiltert. Noch weiter eingeengt wird die Auswahl durch die Algorithmen der Suchmaschinen, die entscheiden, was gut für uns ist und was wir überhaupt erst im Netz zu lesen bekommen. Dies schränkt die Auswahl der verfügbaren Informationen zwar stark ein, ist jedoch auch der einzige Weg der Menge, der Geschwindigkeit und der Komplexität der Informationen im Internet entgegen zu wirken und sie überhaupt konsumierbar zu machen.
Medienkrise – Im Gefängnis der Informationen
Diese Reduktion bedeutet jedoch auch, dass wir gefangen sind in einer auf uns zugeschnittenen Werte- und Meinungsklimazone, aus der wir nur unter größten Anstrengungen wieder herauskommen. Wir befinden uns in einem Gefängnis, das von vielen Wächtern bewacht wird. Neben den nur schwer umgänglichen Suchalgorithmen werden wir bewacht von einer Armee aus Social Bots. Diese digitalen Fake-User haben nur ein Ziel: Die Algorithmen und damit auch unsere Meinung zu beeinflussen, zu benutzen und zu manipulieren.
Es ist eine starke Armee und sie ist groß. Mutmaßlich existieren weltweit über 100 Millionen aktive Social Bots. Auf Facebook könnten vermutlich ca. 30 bis 35 Millionen Accounts Social Bots sein, was einen Anteil von 1,8 bis 2,1% ausmacht. Von den vorhandenen Twitter Profilen sind geschätzt 62 bis 80 Millionen und somit 20 bis 25% virtuelle Programme.
Diese Wächter machen ihre Arbeit gut. Es ist für uns nahezu unmöglich aus diesem gefilterten Nachrichtengefängnis zu entkommen. Und für die meisten gibt es dafür auch keinen Grund. Es ist bequem, es ist praktisch und vor allem ist es kostenlos. Sämtliche Informationen sind kostenlos und bedienen noch dazu genau die Bedürfnisse, die die Menschen dazu veranlassen sie zu lesen.
Medienkrise – Eine tödliche Bedrohung für klassische Medien
Diese Entwicklung führt die klassischen Medien immer näher auf das drohende Aus zu. Ihre Auflagen sinken immer weiter und immer schneller, wodurch der finanzielle Druck zunehmend wächst. Die Medien haben kaum noch Kapazitäten in ihren Redaktionen, um Nachrichten verlässlich zu recherchieren oder zu verifizieren. Zwar gibt es immer wieder Versuche sich den Entwicklungen anzupassen und qualitativ hochwertige Informationen online zugänglich zu machen. Diese Versuche scheitern jedoch, da kaum jemand bereit dazu ist, für diese Nachrichten Geld zu bezahlen, wenn sie frei zugänglich sind.
Um überhaupt noch Geld zu verdienen, sind die Redaktionen somit gezwungen die Auswahl ihrer Themen immer stärker den Vorgaben des Marktes anzupassen. Der Druck, lesenswerte Nachrichten zu schreiben, steigt kontinuierlich. Damit die klassischen Medien wirklich konkurrenzfähig bleiben, müssen sie jedoch auch die Ersten sein, die neue, spektakuläre Nachrichten verbreiten.
Sie sind immer häufiger gezwungen, Nachrichten schnell aufzugreifen und zu verbreiten, ohne sie einer genaueren Qualitätsprüfung und Verifizierung zu unterziehen. Das Angebot an vermeintlich verlässlichen Quellen ist dabei verlockend groß, da jeder heute zum Medium werden und Fakten schaffen kann – und das scheinbar auch tut.
Medienkrise – Der Fall Kony – Die Folge der Sensationslust
Ein Fall, der die Folgen dieser Entwicklung sehr gut verdeutlicht ist der Fall Kony aus dem Jahr 2012.
Zu diesem Zeitpunkt berichtete die Kinderhilfsorganisation Invisible Children über die Gewalt in Norduganda und drehte ein Video, welches diese Gewalt instrumentalisierte, um Aufmerksamkeit und Spendengelder zu erlangen.
Die Facebook Seite zur Kampagne gefiel mehr als 500.000 Menschen, das zentrale Kampagnenvideo wurde bereits innerhalb weniger Tage nach seiner Veröffentlichung auf YouTube mehr als 100 Millionen Mal angesehen. Die Medien griffen die Berichterstattung auf und verbreiteten sie. Zu ihrem eigenen Nachteil, da sich herausstellte, dass die Situation durch Invisible Children verfälscht und simplifiziert zu Marketing- und Manipulationszwecken wiedergegeben wurde.
Die klassische Presse wurde daraufhin von verschiedenen Akteuren online und offline diffamiert, um Platz für eigene News zu schaffen – eine gängige Praxis, die dem Image der Medien weiter schadet.
Medienkrise – Zeit für einen Klimagipfel
Die klassischen Medien stecken in einer tiefen Krise, denn sie wurden ihrer Informations- und Deutungshoheit, ihrer Sichtbarkeit, ihrer Reichweite und ihres Terrains beraubt. Es ist Zeit, wieder Vertrauen und die Informationshoheit zurück zu gewinnen. Zeit, wieder Licht ins Dunkel zu bringen und relevante Fakten von Manipulation unterscheidbar zu machen.
Dies wird möglich durch technische Hilfsmittel wie spezielle Browser-Plug-Ins, die die Reputation von Quellen und Informationen nach deren Glaubwürdigkeit und Seriosität bewerten; oder durch das Erlernen von Medienkompetenz, um mit Informationen aus dem Netz richtig und verantwortungsvoll umzugehen. Als Leser, aber auch als Medium selbst.
Zu guter Letzt muss das Bewusstsein geschaffen werden, dass gut recherchierte Informationen Geld kosten. Die Politik muss erkennen, dass Meinungsmanipulation und Desinformation keine Bagatelle sind, sondern eine Gesellschaft destabilisieren und zerstören.
Ebenso wie sich früher niemand Gedanken um das Klima gemacht hat, bis die Katastrophe nicht mehr zu übersehen waren, wird es höchste Zeit, sich des gesellschaftlichen und medialen Klimawandels bewusst zu werden und gegen zu steuern, bevor es zu spät ist. Denn auch unser gesellschaftliches Klima muss geschützt werden.