Bedrohungen im Internet – Drachenlord
Bedrohungen im Internet nehmen ungeahnte Ausmaße an. An einem Mittwoch im Oktober 2021 geht ein Foto um die Welt. Es zeigt einen korpulenten Mann namens Rainer Winklarson, der mit Pfeil und Bogen auf ein Garagentor schießt. Das sei der Attentäter von Kongsberg in Norwegen, bei dem am selben Tag fünf Menschen den Tod gefunden haben, heißt es im Bildkommentar. Dabei gibt es allerdings ein Problem: Rainer Winklarson existiert nicht, hat nie existiert.
In Wirklichkeit zeigt das Bild den YouTuber Rainer Winkler, besser bekannt als Drachenlord. Winkler betreibt auf YouTube einen Kanal, der eine wirre Mischung aus Let’s Play-Videos, Headbanging, Impressionen aus dem Alltag des 32-jährigen Mittelfranken und wilde Hassbotschaften ausstreut.
Rainer Winkler ist nicht das, was man ein positives Vorbild nennen könnte. Der Drachenlord äußert sich sexistisch, rassistisch und liebt es, seine Follower zu beschimpfen, nicht selten mit nacktem Oberkörper vor der Kamera. Eines kann man ihm allerdings nicht anlasten: das Attentat von Kongsberg. Der tatsächlich festgenommene Verdächtige ist Däne und heißt Espen Andersen B. Winklarson ist nur eine frei erfundene Abwandlung des Nachnamens Winkler, damit er skandinavisch klingt.
Bedrohungen im Internet sind oft ein reflektiver Prozess
Es folgt einer unheilvollen Logik, dass der Hassprediger von seiner nicht minder hasserfüllten Anhängerschaft zum Aushängeschild für Attentate des Formats von Kongsberg gemacht wird. Beunruhigend ist dabei, dass selbst anerkannte Medien überall auf der Welt die Nachricht unreflektiert und ungeprüft übernahmen. Noch über Monate galt der Drachenlord als Kongsberger Attentäter.
“Der Fall Winkler ist eine Zuspitzung, die die entfesselte Hasskultur im Internet sichtbar macht”, sagt Cybermobbing-Experte Christian Scherg dazu in einem Artikel in der FAZ. Dass die Troll-Armeen vor nichts mehr zurückschrecken, wie es in dem Artikel heißt, geht vielfach auf alle Beteiligten zurück.
Nicht immer lässt sich ein Vorfall aus dem Bereich Hasskultur in Angreifer und Angegriffene unterteilen. Immer häufiger geht der Hass von beiden Seiten aus. Und Hass zahlt sich aus, zumindest bei der Reichweite. Winklers Kanal hat über 170.000 Abonnenten, die ihn bewundern, verspotten und parodieren. Wie auch immer die Haltung der Follower zu Rainer Winkler sein mag: die Klickraten sind anhaltend hoch, und mit ihnen die Werbeeinnahmen. In Abwandlung einer bekannten Weisheit aus der Werbeindustrie lässt sich sagen: Hate sells.
Hass als internationales Medienfutter
Als sich im August 2018 über 800 Menschen aufmachten, um den Drachenlord in seinem Heimatdorf heimzusuchen, gingen die Bilder rund um den Globus. Als schließlich die Polizei einschritt, verstärkte das nur das Medieninteresse. Rainer Winkler ist seither regelmäßig das Ziel virtueller oder körperlicher Attacken.
Ihn deshalb zum reinen Opfer zu erklären, geht allerdings an der Wahrheit vorbei. Denn der Drachenlord hat den Boden bereitet, auf dem nun die Saat der Gewalt aufgeht. Auch Winkler übt hin und wieder körperliche Gewalt aus, letztens gegen mehrere ungebetene Besucher vor seinem Haus.
Dafür stand er 2019 wegen Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung von Gericht – nach einem Angriff auf einen Passanten mit einer Taschenlampe. Das Drachengame – so nennen Beobachter den anhaltenden Konflikt zwischen Rainer Winkler und seinen Followern – ist noch immer in vollem Gange. Die Frage, ob dem Hassprediger der YouTube-Zugang entzogen werden sollte, ist mittlerweile zu seinen Gunsten geklärt. Der Drachenlord sendet weiter.