Aggressive Wahlwerbung
Zu aggressive Wahlwerbung schadet dem Politiker, der sie betreibt. Dieses Ergebnis einer Studie des Dartmouth College lässt sich derzeit anhand eines anschaulichen Beispiels nachvollziehen. “Der Effekt zeigt sich vielfach erst nach einiger Zeit, wie Donald Trumps Bemühungen um die Wiederwahl belegen”, sagt Kommunikationsexperte Christian Scherg im Interview mit pressetext. “Doch sie treten ein, quasi zwangsläufig.”
Was 2016 als geniale Kampagnenstrategie erschien, hat sich als nicht tragfähig erwiesen. Die Idee, die Unzufriedenen und unzulänglich Gebildeten bei ihren unterschwelligen Ängsten abzuholen und diese durch extreme Konfrontation zu verstärken, hat Nebeneffekte, die den Verbleib im Amt direkt beeinflussen. “Radikalisierung schafft eine eingeschworene, fanatische Gefolgschaft”, erläutert Christian Scherg. “Aber die Kollateralschäden für die eigene politische Laufbahn sind nicht zu unterschätzen.”
Aggressive Wahlkampagnen verschrecken die Gemäßigten
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Wähler sich einem populistischen und spalterisch auftretenden Politiker zuwenden. Einer der häufigsten ist Enttäuschung über die Leistungen der politischen Protagonisten, denen sie bislang ihr Vertrauen geschenkt haben. “Die Mehrzahl derer, die einen extremen Politiker wählen, sind keine Vertreter seiner politischen Einstellung”, erläutert Christian Scherg. “Sie wollen den etablierten politischen Kreisen lediglich einen Denkzettel verpassen.”
Entsprechend rasch wenden sich gemäßigte Wähler von dem aggressiv eingestellten Politiker wieder ab – spätestens, wenn sie feststellen, welchen Schaden ihre auf Ärger oder Verbitterung gegründete Wahlentscheidung angerichtet hat. “Übrig bleibt nur der fanatische, radikalisierte Kern”, sagt Christian Scherg. “Und der reicht vielfach nicht für nachhaltige Wahlerfolge.”
Wahlen werden mit gemäßigten Wählern gewonnen
Gerade die sozialen Medien erlauben es, Befindlichkeiten, Neigungen und Ansichten von Wählern zu erkennen und individuell anzusprechen. Das erlaubt es, Menschen auf einer bisher nicht möglichen persönlichen Ebene anzusprechen und eine Verständnis– und Vertrauensbasis zu entwickeln. Darauf aufbauend lassen sich eigene politische Vorstellungen dann auch expliziter und konsequenter verdeutlichen.
“Dabei kommt es entscheidend auf die politische Position des Wahlkämpfers an”, sagt Christian Scherg. “Das belegt ein Computermodell der Dartmouth-Forscher, das die Nutzer von Social Media simuliert. Das Ergebnis war eindeutig: Extreme Positionen und Ansichten verschrecken gemäßigte Wähler.”
Aggressive Wahlwerbung – Auswirkungen bis in das private Umfeld hinein
Aggressive politische Werbung wirkt nicht nur radikalisierend, sondern auch selektiv. “Die breite Masse lässt sich auf diesem Weg vielfach nicht ansprechen, die Streuverluste sind einfach zu hoch”, sagt der Kommunikationsexperte.
Der Grund dafür hängt mit den Auswirkungen zusammen, die extreme Ansichten von Wählern in deren privaten Umfeld haben. Fanatisierte Wähler wirken auf ihr soziales Umfeld vielfach abschreckend. “Das Empfehlungsverhalten politisch interessierter Menschen bei Freunden, Bekannten und Familienangehörigen zu den kommenden Wahlen läuft bei aggressiv eingestellten Politikern vielfach ins Leere”, sagt Christian Scherg. “Der plötzlichen Kehrtwende der bisher als vernünftig wahrgenommenen Person wollen gemäßigt eingestellte Freunde meist nicht folgen.”
Doch auch gemäßigte Wähler laufen Gefahr, unvermittelt in einer Filterblase festzustecken. “Wer sich immer nur mit Meinungsäußerungen umgibt, der der eigenen entsprechen, trägt auch als Gemäßigte*r zur Spaltung und Polarisierung bei”, sagt dazu Christian Scherg. “Sich auch einmal mit der Gegenposition zu beschäftigen, gehört zu den Basiswerkzeugen einer lebendigen Demokratie.”