Cyber Mobbing Experte über Hass in den sozialen Medien
Im neuen Beitrag Linnea und die Hater auf TikTok: „Es ist eine Art Machtfantasie“ des Portals MADS (Medien an der Schule) aus dem Februar 2023 äußert sich Cyber Mobbing Experte Christian Scherg, zu Hass und Machtfantasien im Internet. Im Interview mit MADS geht der Gründer und Geschäftsführer der Düsseldorfer Kommunikations- und ORM-Agentur REVOLVERMÄNNER GmbH speziell auf „Hate“ und Drohungen ein, welche Personen des öffentlichen Lebens und sogenannte Influencer tagtäglich im Internet, besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram, erfahren müssen.
Der Artikel startet mit dem Fall der 23-jährigen Vloggerin Linnea, die unter ihrem Usernamen Linnea Sky (linneasky) vor allem auf der umstrittenen chinesischen Video- und Social-Media-Plattform TikTok bekannt ist. Als Content Creator und selbstständige Influencerin konnte sie in den vergangenen Jahren mehr als 410.000 Follower bei TikTok und rund 120.000 Abonnenten bei YouTube generieren. Der Anteil an hasserfüllten und spöttischen Kommentaren ist bei Linnea allerdings außergewöhnlich hoch – ein großer Teil ihrer Follower scheint ihr nur zu folgen, um ihre Vlogs bei TikTok negativ zu kommentieren und sie als Person und ihr Tun zu „haten“.
Der Ursprung ihrer Bekanntheit liegt in einem TikTok-Video von 2022, in welchem sie, angesprochen auf ihren Verzicht auf das Tragen eines BHs, mit der Aussage „Excuse me, wir haben 2022!“ reagierte – zahlreiche Kommentare, Reposts oder auch Remixe dieses Satzes folgten auf dem Fuß. Damit wurde die 23-Jährige aus Nordhorn nicht nur zu einem kleinen viralen Phänomen, sondern auch zur Zielscheibe für Beleidigungen, Drohungen, Hass oder Machtfantasien ihrer neuen und größtenteils anonymen „Hater“.
Wohin mit dem Hass? Die Gefahren von TikTok, Instagram und Co.
Im Interview mit MADS geht Christian Scherg, erfahrener Spezialist beim Online-Reputationsmanagement und auch Cyber Mobbing Experte, auf die nur schwerlich abschätzbaren und kaum vorhersehbaren Folgen von Posts auf beliebten Social-Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok ein, besonders für jüngere Menschen. Er verweist darauf, dass man „Hate“ oder kollektiven Gegenwind gegenüber eigenen Veröffentlichungen und Meinungsbekundungen zumindest einkalkulieren und sich idealerweise mental darauf vorbereiten sollte, notfalls auch juristisch.
Auch, wenn es nicht wenige Influencer oder C-Prominente auf maximale Aufmerksamkeitsgenerierung durch bewusste Provokationen und quasi eigens entfachte Shitstorms angelegt hätten, geht der Hass in der Regel an niemandem spurlos vorüber, meint Scherg. Besonders jene Menschen, die im Internet etwas aus persönlicher Überzeugung sowie mit bestem Wissen und Gewissen veröffentlichen, seien häufig entsetzt über Hasskommentare, Beleidigungen oder zumeist willkürliche Cancel-Aufrufe.
Statt der erhofften Zustimmung oder zumindest einer respektvollen kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema gebe in den schlimmsten Fällen stattdessen Hass rund um die Uhr sowie auf quasi jedem der eigenen Profile. Dies sei nicht nur psychisch äußerst belastend, so der Gründer der Düsseldorfer REVOLVERMÄNNER GmbH, sondern könne auch karriere- und existenzbedrohend sein.
Cyber Mobbing Experte Christian Scherg über Ursachen von Cyber Mobbing und Cancel Culture: „Es ist eine Art Machtfantasie“
Auf die Frage, was Menschen dazu verleitet, gewisse Personen im Internet zu verfolgen, regelmäßig zu provozieren, zu beleidigen, grundlos zu kritisieren – oder eben schlichtweg zu „haten“ – verweist Christian Scherg auf Machtfantasien. Schon das persönlichere Mobbing im unmittelbaren Umfeld, zumeist während der Schulzeit, im Kindergarten oder eventuell auch noch an der Universität oder am Arbeitsplatz, verleihe ein Gefühl der Macht darüber, anderen Menschen Schaden zuzufügen oder gar zu zerstören.
Die Intensität des Hasses und des Mobbings in der Sphäre des Internets und unter dem gefühlten Schutz der vermeintlichen Anonymität seien dabei noch wesentlich intensiver und verletzender. Die Ursachen für Cyber-Mobbing sind dabei oftmals willkürlich und irrational – es geht oftmals nicht um die eigentlichen Inhalte oder ein konkretes „objektives“ Fehlverhalten einer Person, sondern um subjektive Befindlichkeiten. Mögliche Opfer von Mobbing und eben auch Cyber-Mobbing können, so Scherg weiter, zu dick oder zu dünn sein, eine zu lange oder zu kurze Nase haben, mit den gefühlt „falschen“ Freunden und anderen Influencern Kontakt haben oder die „falschen“ Produkte bewerben.
Immer häufiger käme es dabei vor, dass ganze Gruppen über gewisse Personen, die im Internet aktiv sind, fernab jeglicher Objektivität oder Selbstreflexion urteilen und ihre subjektiven Wahrnehmungen als eine Art Gesetz oder Gerichtsurteil wahrnehmen, an welches sich nun die gesamte Welt zu halten habe. Schon kleinste „Vergehen“, ob nun aktuelle Fehltritte oder möglicherweise zweifelhafte Online-Kommentare aus einer fernen Vergangenheit, reichen einem solchen Online-Mob, diese Personen dauerhaft aus der Öffentlichkeit sowie ihren Berufs- und Tätigkeitsfeldern canceln zu wollen.
Was das vermeintliche Opfer zu oftmals willkürlichen und an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen zu sagen hat, spielt für solche Cyber-Mobs bestenfalls eine sekundäre, oftmals sogar gar keine Rolle. Auch die persönlichen Gefühle der Opfer von Cyber-Mobbing werden nicht berücksichtigt. Eventuelle Reste von Empathie und individueller Anteilnahme würden, so der Kommunikationsexperte, durch eine kollektive Mob-Mentalität fernab eines persönlichen Verantwortungsgefühls ersetzt.
Gemeinsam gegen Cyber-Mobbing – Wege aus der Hassspirale
Solche andauernden Shitstorms, Cancel-Aufrufe und kollektiven Hasstiraden halbwegs unbeschadet zu überstehen, sei nicht einfach. Die eigene Community zu mobilisieren, die einem dabei unterstützend zu Seite steht, kann dabei signifikant helfen. Im besten Fall könne das Gemeinschaftsgefühl zwischen den Opfern von Cyber-Mobbing sowie Hass im Internet und den eigenen Fans nach solchen überstandenen Konflikten noch gestärkt werden. Auf seinen eigenen Profilen und Kanälen könne man auch, so Scherg weiter, von seinem „Hausrecht“ Gebrauch machen und Hater temporär oder auf unbestimmte Zeit bannen.
Bei übermäßigen Beleidigungen, Doxing oder gar Morddrohungen können Betroffene zudem Anzeige erstatten. Unter keinen Umständen sollte man, so Cyber Mobbing Experte Scherg weiter, emotional auf Hasskommentare oder Drohungen eingehen und offenbaren, wie sehr man von solchen verletzt würde. Schließlich besagt schon eine alte Internetweisheit, dass man solche Trolle niemals füttern sollte.