Von Vorwürfen, die ihren Widerruf überdauern
War nicht so gemeint. Wer im Internet Aufmerksamkeit will, muss das Spiel mit mehrdeutigen Beiträgen beherrschen. Das eine sagen und das andere meinen: Gleichgültig dabei, ob es um Sex mit Ziegen oder um Schießbefehl auf Mütter geht. Aussagen, die provozieren, werden millionenfach wiederholt. So sehr sich Inhalte und Positionen zwischen Satire und Politik auch unterscheiden, der Effekt ist der gleiche: Man hält sich offen, dass man ja eigentlich etwas Anderes sagen wollte.
Das mag der eine höchst geschickt von Anfang an einplanen, die anderen eher plump nachschieben, das angebliche Missverständnis befeuert auf jeden Fall die Erstaussage: Stets werden in diesem Zusammenhang die relevanten Schlüsselwörter wiederholt, ob es nun um Schusswaffengebrauch gegen Kinder, Sodomie von Staatsoberhäuptern oder um irgendwas dazwischen geht. Was man nicht sagen darf, das wird unmissverständlich wiederholt. Und mit jedem direkten oder indirekten Zitat gewinnt das zweifelhafte Original in Suchmaschinen, Social Media und in der Öffentlichkeit immer mehr Bedeutung.
Wer einen Widerruf fordert, gar klagt, verstärkt im Internet die Sichtbarkeit der verhassten Formulierungen: Es wird Bezug genommen, interpretiert, diskutiert. Mit jeder Stellungnahme steigt der Vorwurf in der Relevanz der Suchbegriffe und Hashtags. Google, Facebook, Twitter und Co lieben Aussagen, auf die alle Bezug nehmen, ohne Wenn und Aber. Ohne Wahr und Falsch. Ohne Recht in Ordnung: Die Akzeptanz belegt den Inhalt. In Windeseile verbreiten sich im Internet Behauptungen, ob nun echt, verlogen oder nur zum Spaß. Wird’s dann Ernst, bleibt immer noch der Rückzug in Ironie oder persönliche Meinung: Alles ein Missverständnis. Etwas zu sagen und es dann zu leugnen, ist eine erfolgreiche Taktik.
So lotet man aus, wie weit man gehen kann und ebnet auch radikalen Gedanken den Weg. Im Internet steht das Heischen um Aufmerksamkeit zum Preis des inszenierten Skandals jedem offen: Ein Vorwurf ist rasch erhoben und genauso so rasch widerrufen. So stiehlt man sich aus der Verantwortung.