Mittelfinger und Reputationsschaden
Am Freitag den 12. August 2016 erlitt Sigmar Gabriel einen Reputationsschaden als er rechten Pöblern den erhobenen Mittelfinger zeigte. Die Geste wäre unbeachtet geblieben, wäre nicht auf der Facebook-Seite der Jungen Nationaldemokraten Braunschweig – einer Gruppe der Jugendorganisation der rechtsextremen NPD – ein Handyvideo veröffentlicht worden. Damit geriet Gabriels „Stinkefinger“ in die öffentliche Diskussion. In der Sendung Westpol nahm Christian Scherg Stellung dazu, ob solch eine emotionale Geste die Reputation schädigt.
Anhänger der rechten Ecke haben sich längst auf lautstarke Beleidigungen von Einzelnen und ganzen Gruppen spezialisiert. Lärm, Aggression und gewalttätige Symbole prägen den öffentlichen Auftritt. So wurde Sigmar Gabriel bereits im vergangenen Jahr mit der Forderung nach seiner Hinrichtung konfrontiert, dargestellt durch einen Galgen. Doch wer selbst ohne Anstand und Geschmack andere Menschen angreift, reagiert häufig selber ausgesprochen dünnhäutig.
Das war wohl auch der Auslöser, warum am 16. August 2016, also vier Tage nach dem Auftritt von Sigmar Gabriel, ein Video seines Besuchs in Salzgitter auf Facebook veröffentlicht wurde. In dem Video ist zu sehen, wie Sigmar Gabriel gegen die wütenden Demonstranten gelassen den Mittelfinger hebt, dann abwinkt und sich abwendet. Durch diese Kurzschlussreaktion, erlitt Gabriel bei vielen Anhängern einen Reputationsschaden.
Bei der Geste zeigt sich, so Christian Scherg, wie eine Situation im Internet instrumentalisiert werden kann. Durch die allgegenwärtige Präsenz von Aufzeichnungsgeräten fällt nahezu keine Situation, egal wie beiläufig sie ist, dem Vergessen anheim. Dessen müssen sich Politiker, aber auch Unternehmer, Sportler und Künstler, ja alle, die im öffentlichen Licht stehen, bewusst sein.
Reputationsschaden kann verhindert werden
Dass die Reaktion von Gabriel aus menschlicher Sicht nachvollziehbar ist, ändert nichts an der gesellschaftlichen Missbilligung des „Stinkefingers“. Dass Gabriel in dieser vorliegenden Situation mit der Vergangenheit seines Vaters, der ein überzeugter Nationalsozialist war und von dem Gabriel sich bereits oft distanzierte, beleidigt wurde, ist zwar für den Kontext wichtig, erfordert aber stets einen erklärenden Text. Reines Bildmaterial dokumentiert nicht den Zusammenhang, in dem Gabriels Reaktion steht.
Nur wer das Video betrachtet oder eine objektive Berichterstattung liest, erfährt, dass rechtsradikale Störer Gabriel mit der Nazi-Vergangenheit seines Vaters konfrontieren und mehr noch, ihm seinen Vater im Zuruf als Vorbild vorhalten wird: „Mensch, dein Vater hat sein Land geliebt. Und was tust du? Du zerstörst es.” Dass der SPD-Politiker hierauf eindeutig reagiert, ist verständlich und nachvollziehbar. Andererseits spricht sich die emotionale Geste nicht für die Souveränität aus, die ein Spitzenpolitiker gerade in angespannten Situationen beweisen sollte. Auch wenn das Bildmaterial davon zeugt, dass Sigmar Gabriel unaufgeregt, gelassen und nach seiner Geste beinahe desinteressiert reagiert, bleibt doch das Bild des ausgestreckten Mittelfingers im Gedächtnis des Betrachters hängen.
Um dieses Bild zu verdrängen un den Reputationsschaden einzudämmen, muss Gabriel nach dem Vorfall mit fundierten Inhalten Punkten. Nur so kann er dem Eindruck entgegentreten, dass er generell so emotional und unsachlich reagiert. Dies ist umso wichtiger, da er keinesfalls auf eine Ebene mit seinen Angreifern gestellt werden darf, die das Bildmaterial für sich instrumentalisieren. Sigmar Gabriel ist mit seiner nachvollziehbaren Geste ein Beispiel dafür, wie Gruppen im Internet provozierte, beinahe arrangierte Situationen für sich und gegen andere durch geschickte Verbreitung einsetzen.