Von Klängen, die durchs Netz kriechen
Stöpsel im Ohr und Melodie im Kopf. Noch nie war uns Musik so nahe. Gleichzeitig sind die Stücke, die uns übers Smartphone direkt im Ohr erreichen, weiter weg, als je zuvor: Sie liegen nicht mehr im Regal, sondern irgendwo im Internet und kommen per Download. Von kostenpflichtiger Flatrate über werbefinanzierte Spartenkanälen bis zu wohlfeilen Youtube-Kollektionen haben sie eins gemeinsam: Die Songs gehören uns nicht.
Aber das war im Grunde schon immer so. Auch wer Tonträger kauft, erwirbt an der Musik nur das Recht, sie anzuhören.
Doch unser Hörverhalten hat sich verändert: Nahmen wir uns einst Zeit zum Hören, griffen zu CD-Booklet oder LP-Cover und folgten den Texten oder erfreuten uns an den Beigaben, bis wir die Platte wenden oder die Scheibe wechseln mussten, so läuft heute die Musik oft in Endlosschleife nebenbei. Ohne konzentriertes Lauschen aber wird Klangkunst zum melodischen Rauschen. So geht die Ruhe der Natur und auch der Lärm der Zivilisation verloren. Andererseits werden die Tunes zum persönlichen Soundtrack des Alltags, ob nun leise Töne besinnlich stimmen oder hämmernde Beats vorwärtstreiben.
Während Sonnenuntergänge, Meeresweiten, Waldschatten und Wiesenwogen das fehlende Cover-Artwork kompensieren, komprimieren Bandbreite und Dateiformate die Dynamik der Ober- und Untertöne. Ließ der Audiophile früher die Nadel des Turntables durch die alkohol-geschwemmte Rille im Vinyl gleiten, damit kein Staubkorn den analogen Lauf hindere, so nimmt man heute in Kauf, dass Löcher ins digitale Musikstück gerissen werden. Im Mainstream des Streamings tritt an Stelle der Qualität der Komposition die Quantität des Bestands. Kein Platz mehr für Konzeptalben und Mixtapes. Einst mit Liebe und in Echtzeit zusammengefügt, zerfallen die Tracks in Hyperlinks. Und Playlists umklammern die Fragmente. Die unendliche Wiederholung ersetzt Autoreverse und Plattenwechsler. Und in den Fugen der Web-Hits gedeiht zumeist der Ohrwurm.