Experteninterview Recht auf Vergessen im Internet
Im Experteninterview „ Recht auf Vergessen im Internet“ spricht Christian Scherg, Gründer und Geschäftsführer der REVOLVERMÄNNER GmbH, mit dem SWR über das Urteil des Bundesgerichtshofes. Dieser musste aktuell in zwei Fälle entscheiden, ob und wann Google unliebsame und veraltete Suchergebnisse löschen muss. Obwohl mit Artikel 17 der Europäischen Datenschutzgrundverordnung ein Recht auf Vergessen im Internet festgelegt wurde, muss in Einzelfällen geklagt werden. So taten es der frühere Geschäftsführer einer Wohlfahrtsorganisation sowie ein Unternehmen aus der Finanzdienstleistungsbranche.
In einem Fall entschied sich der BGH gegen den Kläger, in dem zweiten Fall verwies der BGH auf den EuGH, der nun eine Entscheidung fällen muss.
Experteninterview Recht auf Vergessen im Internet – kann raus
Seien es negative Presseartikel, kritische Äußerungen in Form von Erfahrungsberichten oder Meldungen über Insolvenzen. Der Internetkonzern Google lebt von Inhalten im Netz, die der Internetuser googelt. Je negativer und reißerischer desto besser für Google, denn das lesen die Menschen am liebsten, das googeln sie am meisten und sorgen auf diese Weise dafür, dass diese Inhalte besonders weit vorne und besonders lange in den Suchmaschinen verweilen. Und Google unterstütz das auch noch, z.B. mit seinen Google Suggests. Eine eigens programmierte Funktion, mit der Google Vorschläge unterbreitet, was andere im Zusammenhang mit diesen Suchbegriffen noch gesucht haben oder was Google für relevant hält. Auch hier verwundert es nicht, dass Google durch gezielt negativ konnotierte Vorschläge, die Neugier der Nutzer weckt und sie so zum Weiterklicken animiert.
Dabei ist es Google natürlich gänzlich egal, ob einige Inhalte für die Öffentlichkeit irrelevant, veraltet oder rufschädlich und somit existenzbedrohend sind. Was auch der Grund dafür ist, dass Löschanträge an Google in der Regel nur sehr verhalten bis gar nicht beantwortet, geschweige denn diesen Löschgesuchen nachkommt. Hier bleibt einem lediglich die Klage, die mitunter lang, zeitaufwendig und teuer werden kann und, wie man an den aktuellen Fällen sehen kann, nicht von Erfolg gekrönt ist. Ein Umstand, den Christian Scherg scharf kritisiert. Wenn Inhalte rechtmäßig verjährt sind und keine Relevanz für die Öffentlichkeit haben, sollten sie auch ohne größere Umstände aus dem Internet zu löschen sein. Sogar ein Straftäter bekommt, nachdem er seine Strafe verbüßt hat, eine 2. Chance und hat das Recht auf Resozialisierung. Dass das im Internet nicht möglich sei, konterkariere unser gesamtes Rechtssystem, so der Reputationsexperte.
Das Internet als Frühwarnsystem – nicht alles darf gelöscht werden.
Offenbar kann sich Google dieses Geschäftsgebahren leisten, der Druck steigt aber mit jeder Klage. Dennoch prognostiziert Scherg, dass Google auch weiterhin solche Fälle mit stoischer Gelassenheit aussitzen wird, so wie sie es bislang erfolgreich taten.
Auf die Frage, was geschehe, wenn Google in Zukunft alle negativen Inhalte aus den Suchergebnissen löschen müsse, antwortete Scherg, dass es natürlich Inhalte gebe, die im Netz dauerhaft sichtbar sein müssen. Wie kein zweites Medium ist es über das Internet heute möglich, Menschen in sekundenschnelle, weltweit zu informieren. Das Internet als Frühwarnsystem ist somit enorm wichtig und darf diese Funktion unter keinen Umständen verlieren. Gerade deshalb ist es nötig, weniger relevante und veraltete Inhalte und somit Suchtreffer zu löschen, um Raum für die wesentlichen Informationen zu schaffen.
Wie sich ein Virus wie Covid 19 verbreitet, wie man dazu beitragen kann, die Ausbreitung zu verhindern oder welche Regionen besonders betroffen sind, sind doch für die Öffentlichkeit wichtiger, als die Information, dass bspw. der Geschäftsführer einer Wohlfahrtsorganisation von 12 Jahren den Firmenwagen einmal zu viel privat genutzt hat, oder?